Die östlichste der Balearen-Inseln hält sich bescheiden im Hintergrund. Dabei hat sie mit Traumbuchten, stillem Zauber und einer blühenden Inselmitte jede Menge zu bieten
Vor einer Stunde rollte ich mein Handtuch zusammen an meiner Lieblingsbucht Cala Macarelleta, nur ein Glied aus der Kette traumschöner kleiner Buchten im sanften Süden Menorcas. Tief eingeschnitten, puderzuckerweißer Sand, türkis schimmerndes Wasser, eingerahmt von ockerfarbenen Felsen und duftenden Pinien. Jetzt stehe ich am Cap de Cavalleria, dem nördlichsten Zipfel der Insel. Der Tramuntana-Wind fegt über das karge Plateau.
Menorca ist gelassener als das große Mallorca
Die Luft riecht nach Salz und Rosmarin. Kein Mensch weit und breit. Ich stemme mich gegen den Wind, trete an den Rand der Klippen. Fast senkrecht stürzen die nackten karstigen Felswände hinab ins Meer. Und unten, in der Tiefe, brodeln hochgepeitschte Wellen um fast schwarzes Gestein. Was für ein wilder, magischer Ort! Menorca, ich hatte dich unterschätzt. Keine Ahnung, warum ich die östlichste der vier bewohnten Balearen bisher links liegen gelassen hatte, wie so viele andere Menschen auch. Denn ich liebe die Balearen, vor allem Mallorca. Aber von der fünf Mal kleineren Schwester hatte ich nur ein verschwommenes Bild. Vielleicht, weil sie sich stets bescheiden im Hintergrund hielt. Wird ähnlich sein, nur zwergiger und langweiliger, dachte ich. Was für ein Irrtum! Menorca hat einen ganz eigenen Charakter. Gelassener und entspannter als Mallorca, weniger Touristen. Selbst im Juli und August findet man ruhige Ecken. Mehr unverbaute Natur. Und eine überraschende Vielfalt für ihre gerade mal 50 Kilometer Länge und 20 Kilometer Breite.
Der Süden lieblich, mit den Badestränden von Son Bou, der Cala Galdana und der kinderfreundlichen Cala´n Bosch/Son Xoriguer. Der Norden ruhiger, schroffer. Und dann sind da die sehr unterschiedlichen Städte Ciutadella und Maó am westlichen und östlichen Ende der Insel.
Ciutadella bewegt sich in Slow Motion
Mir gefällt Ciutadella mit ihrem südlichen Charme besser als die geschäftige Hauptstadt Maó. In Ciutadella bewegt sich auch nach der Siesta alles in Slow Motion. Adelspaläste leuchten in der späten Nachmittagssonne, Bürgerhäuser mit schmiedeeisernen Balkonen, die Kathedrale aus Sandstein. Metzger mit blütenweißen Schürzen wetzen ihre Messer in ihren Ständen am alten, grün-weiß-gekachelten Fischmarkt. Auf Café-Terrassen lehnen Frauenrunden und Geschäftsleute in Regiestühlen unter Maulbeerbäumen. Ich setze mich dazu, bestelle eine Pomada, eine Mischung aus Menorca-Gin, gehacktem Eis und ausgepresster Zitrone. Und bummle dann in aller Ruhe durch die autofreie Altstadt mit ihren hübsch dekorierten Boutiquen und kleinen Geschäften. In den Schuhläden jede Menge Avarcas: Die Sandalen-Klassiker schlechthin, früher aus platt gewalzten Gummireifen mit zwei Lederstreifen drauf. Heute in unfassbar vielen Varianten! In Knallfarben, mit Glitzer und hohem Keilabsatz, mit Tigermuster, mit Kuhfell.
Nur wenige Autos sind unterwegs, als ich durch das ländliche Herz in der Inselmitte fahre – auf der einzigen großen Straße, die von Osten nach Westen führt. Meine Blicke schweifen über eine zart gewellte grüne Hügellandschaft, durchzogen von Trockensteinmauern. Dazwischen wohl bestellte Felder, weiß getünchte Örtchen, Aleppokiefern-, Steineichen- und Pinienwäldchen, Blumenwiesen im Farbenrausch: Noch nie habe ich auf den Balearen so knallroten Mohn, so dottergelbe Margeriten, so tintenblaue Kornblumen gesehen. Und so viele Kühe! Jetzt will ich aber auch den berühmten Mahón-Käse probieren! Im Internet habe ich entdeckt, dass man ihn in vielen der 40 Käsereien gleich vor Ort kaufen kann. Zum Beispiel in der Granja Binillubet außerhalb von Mercadal: Frisch gekalkt ist der Hof, mit grünen Fensterläden, Sprossenfenstern, Holzgattern aus Olivenholz.
„Wo bekommen Sie schon so einen Käse! Ganz aus Rohmilch. Handgemacht. Mit natürlicher Rinde aus Olivenöl. So machen wir das schon seit Jahrhunderten“, sagt Bauer und Käsemacher Pedro Marques, während er mir großzügig abgeschnittene Stücke zum Verkosten anbietet. Mein Favorit ist der Semicurado, zwei Monate gereift. Danach darf ich noch mit auf Pedros Weide, wo er nach seinem Pferd sehen will. Elegant, ungestüm, pechschwarz. „Eine eigene Rasse. Wir Insulaner lassen sie auf den Hinterbeinen tanzen bei den Dorffesten zwischen Juni und September.“
Auf ihre Traditionen legen die Menorquiner viel Wert. Genauso wie auf ihre Sprache, ein Dialekt des Katalanischen. Und darauf, ihre Seele nicht an den Tourismus zu verkaufen. Der Erhalt ihrer Insel ist ihnen wichtiger als das große Geld. Sie empfinden es als Segen, dass die Insel später erschlossen wurde als ihre balearischen Schwestern. Zu Recht trägt die Insel deshalb den Titel Biosphärenreservat, seit 32 Jahren schon: Vorbildlandschaft für nachhaltige ökologische Entwicklung.
Ich wandere durch die gewaltige Schlucht Barranc d´Algendar, in der das ganze Jahr über Wasser fließt. Ringsum wuchert eine üppige, grüne Oase aus Feigen, wilden Olivenbäumen und Schilf. Ich paddle im Kajak durchs tiefe Blau entlang der felsigen Lagunenlandschaft des Naturparks s’Albufera. Ich stehe auf den Resten eines fast 3.000 Jahre alten Beobachtungsturms und blicke hinab auf eine steinzeitliche Kultstätte, wie es viele auf der Insel gibt. Ein gewaltiger Tisch aus behauenen Monolithen in freier Natur, umringt von Säulen, die wie Wächter wirken. Ähnliche Orte habe ich schon auf Mallorca gesehen – und schnell abgehakt. Aber hier sind sie besser bewahrt und die Stille ist anders. Tiefer. Greifbarer.
Und dann – wieder ein Kontrastprogramm: Eine halbe Stunde später stehe ich mit einem Cocktail in der Hand in der legendären Cova d’en Xoroi. Einer Bar und Disco in einem verschlungenen Höhlensystem mit eingebauten Terrassen hoch oben in den Klippen über der Cala en Porter. Eine bessere Sundowner-Location muss man auf den anderen Balearen erst mal finden. Menorca, du hast mich völlig überzeugt.
Nicole Schmidt
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