Ruhender Pol im bunten Treiben: der historische Hang-Dau-Wasserturm in Hanoi
Wer von Hanoi nach Ho-Chi-Minh-Stadt reist, erlebt das Land auf rund 1.700 Kilometer Küstenstraße. Bei vielen spannenden Zwischenstopps. Und bei köstlichem Kaffee auf vietnamesische Art
Komm, verlaufen wir uns ein bisschen. Mit Absicht. Denn schöner lässt sich Hanois Altstadt nicht entdecken. Um zwei, drei Ecken herum, und schon sind wir mittendrin in diesem wunderbaren Chaos, in den Gassen, die an mittelalterliche Zünfte erinnern: Nähutensilien gibt es bloß in der Hang Bo, Mopedzubehör in der Hang Khoai, Plastikwannen und Eimer in der Pho Phung Hung. Und überall drängen sich Menschen, knattern Mopeds, schieben Eisverkäufer ihre Kastenwagen, sitzen Bäuerinnen mit Gemüsekörben im Weg. Es ist eng, es ist laut, es ist wunderbar. Und wenn es stimmt, dass die Sechs-Millionen- Metropole Hanoi die Seele eines Dorfes besitzt: Hier findet man sie.
Zwischenstopps? Immer und überall!
Vietnams Hauptstadt ist ein perfekter Ausgangspunkt für eine Reise durch das Land, denn von hier aus können sich Reisende wunderbar Richtung Süden hangeln. Nach und nach, am besten. Per Bus, Bahn, Mietwagen oder Flugzeug. Vietnam ist ein ziemlich lang gezogenes Land. Von Hanoi nach Saigon sind es fast 1.700 Küstenstraßenkilometer.
Zwischenstopps? Immer! Überall! Und unbedingt in Hué! Die alte Kaiserstadt am Parfümfluss bietet mit den pompösen Herrschergräbern, den Pagoden und der Zitadelle, der ehemaligen Herrscherresidenz, Highlight über Highlight. Und weil ein Kaiser namens Tu Duc hier einst das Essen zur Kunst erhoben hat, gibt es in Hué besonders viele Restaurants. Etliche pflegen noch die kaiserliche Tradition, kein Abendessen unter 50 kleinen Gängen zu servieren.
Auch Da Nang ist ein guter Stopp, mit seinen Blumengärten und der Drachenbrücke über den Han River. Die ist innerhalb kurzer Zeit zum beliebtesten Instagram-Spot der Stadt geworden: An Wochenenden speit der Drachenkopf am Brückenende abends Feuer. Anschließend spuckt er einen großen Schwall Wasser hinterher. Sicher ist sicher.
Abseits der üblichen Route, im kühleren Hochland im Landesinnern, liegt Da Lat mit der Linh-Phuoc-Pagode und Wasserfällen. Der Ort ist umgeben von sanft geschwungenen Hügeln und Kaffeeplantagen. Nach Brasilien ist Vietnam der zweitgrößte Kaffeeproduzent der Welt, und in Da Lats kleinen Cafés brühen sie ihn noch wie vor 50 Jahren: ganz langsam, ganz stark. Das dickflüssige Konzentrat tropft träge aus dem oben aufs Glas gesetzten Filter.
Wo wir beim Genuss sind: Auch eine Pho muss natürlich probiert werden. Vietnams legendäre Reisnudelsuppe erhält ihre höheren Weihen durch eine Mischung aus Minze, Chilis, Koriander, Ingwer und Fischsauce.
Es gibt sie zwischen „gut gewürzt“ und „höllenscharf“ in kleinen Läden, die „Pho 27“ oder „Pho 398“ heißen. Vietnams kommunistische Herrscher haben einst die Restaurantnamen abgeschafft, stattdessen steht auf den Schildern nur noch das Hauptgericht und die Hausnummer. Damit auch nachts für Nachschub gesorgt ist, ziehen in Saigon zusätzliche Suppenküchen durch die Gassen. Die Kinder der Köchinnen laufen vorneweg und klopfen auf einer Art Nudelholz einen bestimmten Rhythmus: Das ist das akustische Signal für die nahende Zwischenmahlzeit. Ach so: Pho spricht sich übrigens „Fo?“ aus – als ob man nach der Suppe fragen würde.
Saigon heißt zwar längst Ho Chi Minh City, doch deren Einwohner sagen nach wie vor Saigon. Oder, quasi als Kompromiss, HCMC. Die Stadt ist hektischer als Hanoi, lauter und geschäftiger, sie scheint nie zu schlafen, und viele Cafés und Bars sind die ganze Nacht geöffnet.
Mit dem Motorbike-Taxi durch Saigon
Saigon hat bei neun Millionen Einwohnern über acht Millionen zugelassene Mopeds, und wer von A nach B kommen möchte, winkt ein Motorbike-Taxi heran. Und genießt vom Rücksitz eine Abfolge von Farben, Gerüchen und Geräuschen, eine Stadt im Schnelldurchlauf. Es geht über die Prachtstraße Dong Khoi mit ihren Kolonialbauten. Rund um die Verkehrsinsel mit den Luftballonverkäufern. Die Le Loi entlang bis zum Markt. Hinüber zum Fluss. Quer durch die Stadt mit ihren Wolkenkratzern und Neonfassaden bis in die Gassen von Cholon, dem historischen Viertel der chinesischen Einwohner.
Und wenn einem die Metropole zu viel wird? Fährt man hinaus ins Mekongdelta. Zum schwimmenden Markt von Phung Hiep. Oder man lässt sich in einem Boot durch die Kanäle paddeln. Eine in sich ruhende Welt zieht an den Ufern vorüber: Mädchen, die sich die Haare im Fluss waschen. Männer auf der Jagd nach Krebsen, eine Händlerin in einem Kahn. Abseits der großen Straßen ist das Delta ein Land der schaukelnden Hängematten und stillen Innenhöfe, in denen Reis in der Sonne getrocknet wird. Ein Land, in dem die Zeit an den Wasserhyazinthen auf den Kanälen gemessen wird: Treiben sie in die eine Richtung, ist Ebbe; bewegen sie sich in die andere, hat die Flut eingesetzt.
Zum Schluss: ein letzter Kaffee. Da vorne, unter den Tamarindenbäumen am Ufer. Ganz langsam tropft die dunkle Flüssigkeit auf die Milch unten im Glas. Kaffeetrinken in Vietnam ist wie ein Zur-Ruhe-Kommen. Ein tiefes Durchatmen, während das Brausen der Welt um einen herum für ein paar Minuten innehält. Erst wenn die Wirkung des Koffeins einsetzt, kommt wieder Tempo in das vietnamesische Universum. Und wir können weiter. Stefan Nink
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