Grade habe ich Morena Tartagni überholt, die italienische Meisterin im Straßenrennen. Keine schlechte Leistung, wenn man bedenkt, dass ich heute zum ersten Mal auf einem Rennrad sitze und immer noch froh bin, wenn ich beim blinden Tasten nach der Gangschaltung nicht in die Speichen greife. Doch die Umstände waren auf meiner Seite. Morena, die ihre großen Triumphe vor einem halben Jahrhundert feierte, hatte kurz abgebremst, um einen Bekannten am Wegesrand zu begrüßen.
Und schon war ich vorbei. Professionell über mein altes, dottergelbes Gavel-Rennrad gekrümmt, sause ich weiter talwärts, zwischen Olivenbäumen hindurch. Unter den schmalen Reifen spritzt der Schotter weg, dass es eine Freude ist. Bisher war ich immer nur langweilig auf Hollandrädern unterwegs, doch jetzt ist klar: Rennradeln ist viel, viel besser!
Kein Wunder bei dieser toskanischen Traumkulisse. Ich fahre bei der Eroica mit, dem Vintage-Radrennen durch die Weinberge im Chianti. Eigentlich ist es gar kein Rennen, denn niemand misst die Zeit. Dafür darf nur mitmachen, wer sich auf einem Straßenrennrad alter Schule präsentiert, so wie ich es mir gestern im Städtchen Gaiole gemietet habe: Jahrgang 1986 oder früher, mit Stahlrahmen, am Unterrohr befestigten Schalthebeln und Lederriemen statt Klickpedalen. Denn alles auf der Eroica dreht sich um den Spirit des ciclismo der 1940er- und 50er-Jahre, als Radfahren in Italien wichtiger als Fußball war und man in der Toskana ausschließlich über schottrige Staubpisten strampelte.
Bei all ihrem Vintage-Charakter steht die Eroica aber auch für etwas Aktuelles: die neue Lust am Urlaub mit dem Rennrad. Radfahren ist ein Megatrend, und wer in seiner Freizeit gerne durch die Natur saust, möchte im Urlaub nicht darauf verzichten. Erst recht nicht angesichts der verlockenden Destinationen zum Beispiel in Südeuropa. Ob in der Toskana oder rund um den Ätna, ob auf dem Teide-Hochplateau von Teneriffa oder auf Lanzarote, ob am Gardasee oder an der andalusischen Costa de la Luz: Sonne, mediterrane Lebensart und herrliche Landschaft ergeben den perfekten Radurlaubsmix.
Und Rennradeln ist ja auch nicht schwer. Beim Start in Gaiole heute früh bin ich gut weggekommen und nicht, wie befürchtet, vor lauter Aufregung vom Rad gefallen. Und obwohl ich anfangs dauernd überholt wurde, konnte ich beim steilen Anstieg am Castello di Brolio, wo Zähigkeit und Kondition gefragt waren, wieder Boden gut machen. Doch es geht ja nicht darum, als Erste ins Ziel zu kommen. Es geht darum, das Leben zu genießen. Weshalb ich jetzt erst mal absteige, das Rad an eine Zypresse lehne und mich im Weinberg ausstrecke. La vita è bella – besonders im Radurlaub.
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